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Erweiterung des Blickfeldes über das eigene Haus hinaus

Typisch für die gegenwärtige Architektur ist das freistehende Haus. Ob Kanzlerbungalow, Firmenzentrale, Markt auf der grünen Wiese oder Einfamilienhaus, jeder denkt nur an einen Solitärbau. Der Blick über das eigene Haus hinaus ist uns fast verloren gegangen. Das gab es in dieser extremen Form in der Menschheitsgeschichte noch nie.

Parallele Erscheinungen sind der Individualismus, der Egoismus, das Wettkampfdenken, die Rekordsucht, das Prestigedenken, das Machtstreben, die Öffentlichkeitssucht etc. Wer diese Erscheinungen kritisch betrachtet, findet in jedem Aspekt einen positiven Kern. Die Beachtung des einzelnen Individuums ist ein Fortschritt unserer Zeit und deshalb wird es einer zukunftsfähigen Zielsetzung immer ein Anliegen sein, die Entwicklung zur individuellen Persönlichkeit zu fördern. Es geht also nicht um die Bekämpfung der Individualität sondern um eine ganzheitliche Integration des Individuums in die Gemeinschaft. Dabei kann der einzelne Mensch seine eigenen Anlagen entwickeln, sein Selbstbewusstsein aufbauen und seine Persönlichkeit stärken. Das Gleiche könnte man für Egoismus und die anderen Aspekte sagen. Das eigene Selbst zu entwickeln ist in unserer Zeit wichtiger denn je. Nur die einseitige Egozentrik, die nicht mehr über sich selbst hinaus blicken kann, führt zu einem Egoismus, wie er sich eben auch symbolisch bildlich in der Solitär-Architektur darstellt.

Siedlungsplan Wiesentheid Wiesentheid
Im Gegensatz zu konventioneller Architektur gibt es bei der ganzheitlichen Architektur nur wenige Solitärbauten. Hervorstechende Bauten können freistehen, die übrigen dienen der Geschlossenen Raum Bildung.

So sind wir jetzt wieder bei der Architektur. Wir leben hier in einer absolut gespaltenen Zeit. Der Geschosswohnungsbau, der Zeilenbau, der Blockbau, auch der Reihenhausbau ist alles andere als eine Förderung der individuellen Persönlichkeit. Und selbst im Einfamilienhausbau, bei dem oft jedes Häuschen wie das andere aussieht, kann eine interessante Erkenntnis sichtbar machen: Nämlich die, dass die extreme Egozentrik keineswegs zu einer Persönlichkeitsentwicklung führt. Die Freistellung der Häuser offenbart die Isolierung von der Umwelt und blockiert damit die eigene ganzheitliche Entwicklung. Und selbst wenn diese freistehenden Häuser krampfhaft um Individualität bemüht sind, kann man hier oft mehr psychopathische Züge als Persönlichkeitswerte erkennen.

Ich möchte diesen Gedanken einmal an einer ganzheitlichen Siedlung erklären und nehme dazu das Beispiel der Nachbarschaftssiedlung Bamberg am Cherbonhof.

Die Siedlung wirkt wie ein altes Dorf geschlossen. Alle Häuser dienen mit ihren Straßenfassaden der harmonischen Gestaltung der als Fußgänger- und Kinderspielzonen ausgebildeten öffentlichen Plätze, Höfe, Gassen Passagen etc. Dachrinnenhöhe und Hauseingangsniveau waren zentimetergenau vorgegeben, damit die Gemeinschaftsfläche harmonisch und zusammengehörig wirkt. Die Vorgärten durften nicht eingezäunt werden, sondern sie werden im Gegenteil als Schmuck für die Erscheinung des Gemeinschaftsplatzes von den Bewohnern blumenreich und liebevoll gepflegt. Eine Sonderstellung nimmt nur der Gemeinschaftsbau ein. Er wirkt gewichtiger als die Privathäuser, die nur mit jeweils ihrer Straßenfassade vom öffentlichen Raum aus sichtbar sind. Die geschlossene Bauweise mit einheitlicher Dachneigung und Ziegelfarbe führt so auch zu einem geschlossen wirkenden Freiraum. Die Bewohner hatten ausdrücklich den Wunsch, in einer Umwelt zu leben, welche schön ist und das Gemeinschaftliche zum Ausdruck bringt. Und sie haben sich auch zu diesem Zweck eine eigene privatrechtliche Gestaltsatzung gegeben. Das ist also der Aspekt des über das eigene Haus Hinaussehens.

Und nun zum Ausdruck der individuellen Persönlichkeiten: In der Siedlung mit 30 Häusern gab es 13 verschieden Architekten, welche die einzelnen Häuser planten. Da wurde kein Haus von einem Serienhaushersteller geliefert. Zwar gab es Gemeinschaftsaufträge, aber die Planung war individuell. Der deutlichste Ausdruck der Individualität lag aber in der Tatsache, dass jeder Bauherr einen einsichtsgeschützten Innengarten als Wohnzimmer im Freien erhielt. Hier wurde also die Gemeinschaft und die soziale Kontrolle ausgeschlossen. So kann sich jeder in seinem Garten Tätigkeiten hingeben, die sonst die Empfindlichkeiten der Nachbarn stören könnten. Ob es sich nun um Tortenschlachten während der üblichen Arbeitszeit handelt oder um ungebührliche Kleidung, hier gibt es für das Individuum einen hochwertigen Lebensraum im Freien. Durch Wintergärten, überdeckte Sitzplätze und Schuppen kann dieser Innengarten noch bereichert und den individuellen Bedürfnissen angepasst werden. Die Fassaden aller Häuser sind verschieden und spiegeln in gewissem Sinne das Wesen des Bauherrn wieder. So gibt es mehr offene oder geschlossen wirkende Fassaden, farbige oder ganz eingegrünte. Die Dachaufbauten an jedem Haus sind verschieden, bleiben aber bescheiden, um die Dachlandschaft nicht zu beunruhigen. Es gibt keine Serienhaustüre, sondern jede Türe ist individuell entworfen und handwerklich gefertigt. Allein die verschiedenen Haustüren können über die Verschiedenheit der dort wohnenden Persönlichkeiten Auskunft geben. Dass die Häuser auch in ihrer Innengestaltung und Aufteilung verschieden sind, versteht sich bei diesem hohen Grad von Individualität von selbst. Es gibt kleine Häuser neben großen mit Einliegerwohnungen.

Im Grundriss der Häuser spiegelt sich das über den eigenen Bereich Hinauswirken noch einmal. Jedes Familienmitglied hat ein eigenes Zimmer. Aber der Gemeinschaftsaspekt spielt auch eine große Rolle. So wurde bewusst ein familiendemokratischer Grundriss gewählt, der das patriarchale Denken überwindet. Der konventionelle Grundriss ist ja auf den Hausherrn und die Repräsentation zugeschnitten. Das Esszimmer hatte oft eine Durchreiche zur Küche, von wo aus die Hausfrau als eine Art Dienstbote das Essen dem Herrn Gemahl durchschiebt. Die Küche war ungemütliche Funktionsküche, die ohnehin nur für Dienstpersonal gedacht war. Das Wohnzimmer war geräumig mit großen Ledergarnituren, geeignet bei einem repräsentativen Gast Eindruck zu machen, oft aber nicht einmal geeignet, allen Familienmitgliedern einen Sitzplatz bereit zu halten. Diesem patriarchalen Grundriss setzten wir einen demokratischen gegenüber. Dieser teilte sich in Gemeinschaftsräume (Diele, Küche, Wohnzimmer) und Individualräume (Ruhiges Wohnzimmer, Schlaf-Wohnzimmer für jedes Familienmitglied). Die Küche liegt an bevorzugtester Stelle des Hauses, um den, der in der Küche arbeitet mit der wertvollsten Hausstelle aufzuwerten. Die Küche ist offen mit dem Wohnzimmer verbunden (Z. B. verglaste Doppeltüren). Das Wohnzimmer ist mit einem großen Familientisch möbliert, an dem auch einmal eine zweite Familie oder die Freunde der Kinder Platz finden. Das ruhige Wohnzimmer ist für die Eltern oder die Frau gedacht, wenn diese sich einmal von der Familiengemeinschaft zurückziehen wollen.

Das Hinaussehen über das eigene Haus spiegelt sich also in der Siedlungsarchitektur und in der Grundrissgestaltung wieder. Es geht von der Vorstellung aus, dass nur Menschen mit einer hohen Selbstentwicklung gemeinschaftsfähig sind. Der heute übliche Städtebau mit Solitärbauten zeigt genau eine Gegenanschauung an, nämlich das Bild des einzelnen von der Gemeinschaft isolierten Menschen, der in seinem Ghetto auch mit seiner eigenen Persönlichhkeitsentwicklung zurück bleibt.

Man kann dieses Bild auch auf die gesellschaftliche Situation übertragen: Selbstbewusste und gemeinschaftsfähige Persönlichkeiten sind weniger manipulierbar und fähiger am Gemeinwesen mitzuwirken. Die Frage nach Solitärbau oder gemeinschaftlichem Lebensraum hat also auch etwas mit der Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft zu tun rauf 

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