Die Agenda 21 ist eine globale Leitlinie für Zukunftsfähigkeit. Wenn es um die Entwicklung einer neuen Architektur geht muss sie das Kriterienspektrum liefern. Wer die neuen Leitlinien auf die Architektur beziehen möchte, wird sich zuerst mit den Inhalten und dann erst mit den sich daraus ergebenden Formen beschäftigen. Eigentlich war ja einmal die moderne Architektur unter dem Schlagwort „Form folgt Funktion“ angetreten. Das scheint schon lange her zu sein, obwohl es in seiner Gültigkeit keineswegs überholt ist. In vielleicht etwas unterschiedlicher Form galt dieser Grundsatz in allen hohen Kulturphasen der Menschheit.
Überholt aber sollte sein die oberflächliche Sicht auf die heutige Architektur. Denn hier geht es gar nicht mehr um Funktionen. Alles ist erlaubt, nur das Dach muss flach oder pultförmig sein. Das ist das traurige Ende einer Architektur, die wirklich einmal eine neue Epoche eingeleitet hat. Oberflächlicher und manieristischer geht es nicht mehr. Und das ist auch ein Verrat an der Grundposition der modernen Architektur.
Immer wenn in der Menschheitsgeschichte eine neue Architektur heraufzog, ging dieser eine inhaltliche und funktionale Leitidee voraus. In der Renaissance hat man nicht gesagt, neue Ideen sind ja schön und gut aber der Spitzbogen der Gotik und die aufstrebende Architektur müssen erhalten bleiben. So darf auch heute nicht gesagt werden, die Agenda ist ja schön und gut, aber beispielsweise das Dach muss flach oder pultförmig bleiben.
Prüfen wir einmal die Agenda 21 an einigen Beispielen in ihrem Bezug zur Architektur. Nach dieser globalen Leitlinie sollen die Betroffenen stärker an der Planung beteiligt werden. Man sollte deshalb mit diesen schon auch einmal über die Dachform reden dürfen.
Die Agenda 21 versucht das Gemeinwesen zu stärken. In der Architektur sollte also irgendwie das Gemeinsame sichtbar werden. Das ist nicht einfach, wenn jeder Bauherr seinen Bau individuell gestalten will. An sich ist es sinnvoll, dass der persönliche Ausdruck des Bauherrn am Bau sichtbar wird. Wenn in einer solchen Situation alle Häuser flache Dächer haben, hat man kein Gestaltungsmittel mehr, um das Gemeinsame auszudrücken. Die schrägen Dächer bieten dagegen eine hervorragende Möglichkeit mit einer farbigen und lebendigen Dachlandschaft das Verbindende darzustellen. Wenn dann über eine relativ ruhige gleichberechtigte Dachsilhouette architektonisch ein Gemeinschaftsbau herausragt, wird damit noch einmal das Gemeinschaftliche verdeutlicht.
Man kann auch ein Kriterium aus dem ökologischen Bereich heranziehen. Sonnenkollektoren und Voltaik-Anlagen sind am effektivsten auf dem nach Süden geneigten Schrägdach. Auch das ist Agenda 21. Oder gehen wir weiter zur Wirtschaftlichkeit. Die Idee des erweiterbaren Hauses lässt sich bei einem flächensparsamen Konzept nur durch einen späteren Ausbau des Daches realisieren. Das kann für junge Familien eine wichtige Möglichkeit sein, rechtzeitig in Bezug auf die Kinder ein Einfamilienhaus zu beziehen.
Man könnte so weiterfahren: Der hohe Kamin eines Satteldachhauses stört die Nachbarn von den Emissionen her am wenigsten. Oder mit Dachverglasungen und Dachaufbauten können besondere Raumwirkungen erzeugt werden. Der Spitzboden wird gerne als Studio mit Blick über die Dächer genutzt. Dann gibt es speziell für flächensparsame Siedlungen zwei Haustypen, die trotz Geschossbauweise für jeden Hausbesitzer einen einsichtsgeschützten Innengarten ermöglichen, was mit Flachdachhäusern nicht zu machen wäre. Hier sind also Kriterien aufgezählt, welche die Vorteile eines Schrägdaches funktional beschreiben, aus denen sich dann bestimmte Formvorstellungen ableiten. Wenn man nun von der Funktion ausgeht, welche die Form bestimmen soll, dann ist das schräge Dach vielleicht doch für manche Anwendungen der neuen Architektur sinnvoll.
Das was heute bei vielen noch als modern gilt, ist in Wirklichkeit ein alter Hut. Diese Moderne hat ihre Aufgabe erfüllt und längst ihre Lebendigkeit verloren. Es entsteht gerade eine neue Architektur nach der globalen Leitlinie Agenda 21. Sie darf durch eine überholte Formdogmatik nicht eingeschränkt werden. Die ersten Modelle, welche für die Blickerwartung mancher Architekten bieder wirken mögen, müssen noch nicht die endgültige Form der „Neuen Architektur“ darstellen. Wir brauchen jetzt erst einmal ein Phase großer Offenheit und Kommunikationsbereitschaft.
Ganzheitliche Architektur muss nicht das schräge Dach haben. Aber sie möchte natürlich nicht auf Vorteile verzichten, die nur über das schräge Dach erreichbar sind. Sich mit der Neuen Architektur an den neuen globalen Richtlinien zu orientieren ist kein Rückgriff sondern ein Schritt zur Zukunftsfähigkeit, wie das die Agenda 21 formuliert. Rein formalistische Rückgriffe, die funktional nicht begründet sind, gehören nicht zu einem kultivierten Architekturverständnis. Der mittige Quergiebel als postmodernes Prestigesymbol des kleinen Mannes, die Rekonstruktion einer alten Fassade wie die des Berliner Schosses, der ganze Kitsch des vom Architekturbetrieb völlig abgekoppelten üblichen Baugeschehens oder der willkürliche Rückgriff auf Stilelemente der Gründerzeit sind funktionell unbegründet und stellen keinen Beitrag zu einer Agenda 21 Architektur dar.
Eine herrschende Architekturdoktrin darf nicht die Entwicklung zu einer Agenda 21 Architektur behindern. Da geht es natürlich nicht nur um das Dach sondern um hundert weitere Aspekte, z. B. die Frage ob eine Stadt aus Solitärbauten oder aus platzbildenden zusammenhängenden Strukturen bestehen soll. Es sind Fragen der Mitwirkung der Bewohner am laufenden Geschehen, es sind viel intensiver die Fragen der Gesundheit, der Naturnähe, der Mischung von Wohnen und Arbeiten, das Zusammenleben von Jung und Alt, der Bezug zur regionalen Baukultur, der öffentliche Raum für Kinder und Fußgänger, die Gemeinschaftseinrichtungen etc zu diskutieren. Das Dach wurde nur als Beispiel dafür abgehandelt, dass wir uns nach sinnvollen Funktionen richten sollten und dass eine lebensgerechte Weiterentwicklung der Gestaltung mit einer kleinkarierten Gestaltdoktrin nicht voran kommen kann.