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Man kann in die Zukunft schauen

Die Phasen der Kulturgeschichte lassen sich besonders gut an der Architektur und der Kunst ablesen. Diese Kulturbereiche sind der Spiegel des kollektiven Bewusstseins. Man kann irgendwo in der Geschichte einsteigen und versuchen, eine solche 30-35-Jahr-Phase herauszufinden. Wenn mehrere das unabhängig voneinander machen, kann man hoffen, ein übereinstimmendes Zeitraster zu finden.

Ich setze einmal bei 1900 ein und betrachte die Zeit bis 1933. Damals rührten sich die Reformbewegungen, welche den erstarrten geld- und machtorientierten Gründerzeitstil, der auch viel Unechtheit angesammelt hatte, überwinden wollten. Es begann langsam die Zeit, in der moderne Kunst Aufmerksamkeit erlangte, eine Zeit, welche Vorläufer wie Gaugin und van Gogh nicht mehr erlebten. Es kamen die expressionistischen Maler, das Bauhaus, der Werkbund, die Jugendbewegung, spirituelle Bewegungen und eine gewaltige aggressive Spannung in die Politik. Schließlich fällt der erste Weltkrieg in diese Phase. Auch gab es Katastrophen wie der größte Stadtbrand der Geschichte in San Francisco. Das Stichwort Feuer, kann uns auf das Urprinzip der vier Elemete hinweisen. Jede Phase hat eine Elementbetonung, die sowohl materiell wie auch seelisch und geistig zu interpretieren ist. Bei den weiteren Phasen können wir prüfen, ob sich eine Logik darin ergibt, dass diese Phase als „Feuerphase“ bezeichnet wird. 1933 bis 1968 wäre die nächste Phase. Diese Zeit wird geprägt von der Ideologie und den Nachwirkungen der Naziherrschaft. Es kann uns das Stichwort „Blut und Boden“ einfallen. Das hat etwas mit der Elementbetonung „Erde“ zu tun. Nach dem Element Feuer kommt in der Psychologie das Element Erde. Jede Phase hat positive und negative Aspekte. Die negativen Aspekte jener Phase, die mit dem Wort Blut zusammen hängen, fallen uns hier am ehesten ein.

Von 1968 bis 2003 haben wir eine sehr rationale, wirtschaftsorientierte Phase. In sie fällt das Wirtschaftswunder , eine sehr abstrakte Kunst und eine funktionalistische Architektur. Das Element Luft, das an das der Erde anschließt, wird als rational und technisch interpretiert, was bei einer Architektur aus Stahl und Glas nachvollziehbar ist. In der astrologischen Psychlogie sind die Element-Psyche Beziehungen am besten herausgearbeitet. Zum Element Luft gehört auch Beweglichkeit und eine ständige Suche nach Neuem.

Ab 2003 wären wir nach dieser Systematik in eine Wasserphase eingetreten. Da ich diesen Text nur deshalb schreibe, damit wir uns selbst und unsere Zeit besser verstehen, möchte ich vor den Ausführungen darüber noch einen Blick auf das 19. und 18. Jahrhundert werfen. Wenn sich hier nämlich die Systematik auch zeigt, dann gewinnen wir bei den Aussagen über die Jetztzeit mehr Sicherheit. Dabei darf man die Jahrzahlen nicht als strenge Grenzen auffassen, denn die Phasen überlappen sich. Dabei stellen die Bildungskreise und Intellektuellen eine Art Vorhut dar, während die Machtstrukturen und Verbände sich als Nachhut gezeigt haben. Die Jahrzahlen sind also nicht zu exakt zu nehmen.

Im 19. Jahrhundert gibt es die Phase von 1866 bis 1900. Das wäre nach der hier beschriebenen Systematik eine Wasserphase, die sich in Weichheit und Romantik ausdrückt. In diese Phase passt der Impressionismus, aber auch viel Sentimentalität bis hin zum Kitsch. Der Grundstein für Neuschwanstein wurde 1869 gelegt. Orientalische Phantasien, Neugotik, romantische Malerei und Dichtung, Burschenschaften, romantischer Nationalismus mit Kaiserreichphantasien, Kolonialismus etc. Diese letzten Stichworte weisen auch auf die negativen Aspekte jener Phase hin. Erst in der anschließenden Feuerphase gingen dann die Verhärtungen dieser Ideen in den großen Krieg und Revolution über.

Eine Phase weiter zurück beginnt 1833. Das müsste eine Luftphase sein. 1825 ist der Lufftfahrtpionier Giffard geboren. Die Zeit war relativ rational und technisch orientiert. Viele technische Erfindungen fallen in die Zeit oder es wurden die Ideen und Grundlagen dafür geschaffen. !825 bestieg Ludwig I den Bayerischen Thron, womit in der Architektur und Kunst der Klassizismus seinen wichtigsten Förderer erhält. Wenn man an Ludwig I denkt, fällt einem die relativ lockere moralische Einstellung ein, die auch für die Phase ab 1965 kennzeichnend war. In Luftphasen wird der Lebensstil etwas lockerer gesehen.

In eine Phase noch weiter zurück ab 1800 fällt die Neuordnung der Länder. Die Zeit war von der Klassik geprägt und war bodenständig. Und es gab ähnlich wie bei der Erdphase ab 1933 einen Eroberer in Europa, der sich fremde Länder einverleiben wollte. Noch eine Phase zurück fällt in das Element Feuer ab etwa 1765. Es war eine unruhige Zeit, welche mit der französischen Revolution endet. 1781 kamen die Räuber von Schiller heraus. Die Gestaltung wird von einem sachlichen Stil bestimmt. In der Mitte des 18.Jahrhunderts, also vor der Feuerphase ab 1765, gab es den Rokoko, der mit seinen weichen verschlungenen Formen zum Wasser gehört.

Wenn sich in der Aufzeichnung der Phasen eine gewisse nachvollziehbare Logik eingestellt hat, komme ich zu der für uns wichtigsten Phase, nämlich der Jetztzeit ab 2003. Nach der Systematik befänden wir uns in einer Wasser-Zeit. Diese tendiert zu mehr Emotion und sie bewegt sich auf mehr Tiefe hin. Erfahrungen mit neuer Emotion konnten wir bei der Fußball WM machen. Die Formen unseres Industrie- und Autodesigns werden weicher. Wässrige Phasen sind weiblicher. Eine Bundeskanzlerin passt gut in dieses Bild. Wahrscheinlich wird auch die Lebensraumgestaltung weicher und weiblicher werden. Ob man die Jahrhundertüberschwemmungen in Ostdeutschland und den Tsunami auch dem Wasserelement anlasten will, kann offen bleiben. Die Natur und Umwelt hat mit dem Element Erde und Wasser zu tun. So wird die Ökologie eine größere Rolle spielen als in der gerade abgelaufenen Phase.

Typisch für das Wasserelement ist Gemütlichkeit und Geborgenheit. Damit wird auch gesagt, dass die Lebensraumgestaltung weniger in Richtung Solitärbauten gehen wird, sondern mehr von Plätzen, Höfen, Innengärten, Passagen, Gassenräumen geprägt sein wird. Foren und kommunikative Räume werden ebenso geschätzt werden wie meditative Rückzugsräume. Menschliche Beziehungen werden wichtiger als Prestige. Soziale Vernetzung und gegenseitige Hilfe werden wieder mehr als Lebensqualität erkannt werden. Die Gestaltung wird emotionaler, was die Gefahr ähnlich wie bei der letzten Wasserphase Ende des 19. Jahrhunderts in sich birgt, dass an die Stelle von kalter Ästhetik Kitsch tritt. Der Kitsch, bei dem Form und Inhalt nicht übereinstimmt, wird dann das Hauptthema guter und wahrheitlicher Lebensgestaltung werden.

Schließlich wird man sich auch stärker um eine beseelte Lebenskultur kümmern. Wasser hat psychologisch gesehen mit Seele zu tun. Eine beseelte Lebenskultur wird zum Alltag gehören. Es wird normal werden, von spiritueller Architektur zu reden, auch wenn es sich um ganz weltliche Aufgaben handelt. Ähnlich verhält es sich auch mit dem Verhältnis zur Kultur der Geschichte. Sie wird mehr als heute geachtet und geschätzt werden und auch in der Stildiskussion für Neubauten auftauchen. Dass dies ein Thema wird, konnte schon beim Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche und den Plänen zum Berliner Schloss erahnt werden.

Städte, die an bedeutenden Gewässern liegen, werden in der Aufmerksamkeit einen Vorteil haben, besonders dann, wenn sie all die anderen hier beschriebenen Eigenschaften des Element Wassers in psychischer Hinsicht verinnerlichen und nach außen sichtbar machen. Regensburg beispielsweise hätte hier gute Chancen. Brückenfeste, Donauallee, Donaumarkt, Aufwertung der Flussinseln werden eine größere Rolle spielen und können dann zusammen mit all den anderen Aspekten wie Geschichte und Nähe zu schönen Naturlandschaften eine gute Basis für eine zukunftsfähige Entwicklung darstellen.

Zum Schluss hoffe ich, dass der Leser nachvollziehen kann, dass sachliche Vorhersagen nichts mit Wahrsagerei zu tun haben, sondern das Ergebnis von scharfer Beobachtung und von Nachdenken darstellen. Wir befinden uns in einer Wendephase, welche Chancen und Gefahren bringt. Der Wechsel des Bewusstseins ist, wenn die Zeit reif ist, nicht aufzuhalten. Man kann aber, wenn man die positiven und negativen Möglichkeiten kennt, konstruktiv auf eine gute Entwicklung hinwirken.

Beratzhausen 15.07.06

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