Wie müssten Orte des guten Lebens beschaffen sein? Ich versuche einige Kriterien zu beschreiben. Dies erscheint mir nötig, damit ein Gefühl für die materielle Wirklichkeit erhalten bleibt. Eine tiefenpsychologische Arbeit benötigt ausreichend Erdverbindung und Praxisnähe. Ich zeige diese Kriterien in drei Abschnitten. In einem zukunftsfähigen Leitbild für die Gesellschaft, in einem Leitbild für die Stadt und in einem Leitbild für die Nachbarschaft und das einzelne Haus.
Man kann sich relativ gut vorstellen, dass die Finanzierung der sozialen Leistungen leichter und die Lösung schwieriger Situationen menschlicher würde, wenn die Menschen in sozial-vernetzten Nachbarschaften zusammen leben würden. Die soziale Versorgung des einzelnen wird heute durch die großen Versorgungssysteme geleistet. Es hat sich schon gezeigt, dass die Versorgungssysteme nicht mehr finanzierbar sind. Würde man die steigenden Finanzierungskosten weiterhin auf die Lohnnebenkosten schlagen, wären wir global nicht mehr konkurrenzfähig. Mit Steuern kann man nur noch eine kurze Zeit die Sozialkostendefizite ausgleichen, denn die Sozialkosten steigen auf Grund demoskopischer Entwicklung drastisch. Das sind höhere Rentenzahlungen, höhere Pflegekosten, höhere Krankenkosten, höhere Armutssituationen, mehr psychische Pflegefälle etc.
Hier hilft also nur ein Aufbau der kleinen selbstverantwortlichen familiären Struktur. Da die Kleinfamilie dafür nicht geeignet ist, müssten nachbarschaftliche Strukturen, welche Aufgaben der früheren Großfamilien übernehmen, aufgebaut werden. Nun – ich weiß was Sie denken: Das wäre reine Sozialromantik. Das wird mir auch stets bei dieser Zielsetzung entgegen gehalten. Ich gebe zu, dass unter heutigen Bedingungen und unter heutigem Bewusstsein die Schaffung nachbarschaftlicher Strukturen wenig Chancen hat. Aber wir reden ja von zukunftsfähiger Entwicklung. Wir müssen also die Frage stellen, welche Bedingungen und welches Bewusstsein müssen wir schaffen, damit eine selbstverantwortliche sozialvernetzte Gesellschaft entstehen kann? Wenn wir durch die pure Not gezwungen werden, neue Strukturen zu schaffen, wird das in jedem Fall unmenschlicher werden, als wenn man sich rechtzeitig neue System experimentiert.
Das sind praktische Leitbilder, die im Stadtökologischen Manifest von 1979 bereits formuliert worden. Sie entsprechen auch dem Grundanliegen der Agenda 21.
Die Stadt muss neu gegliedert werden in Stadtregionen. Die alte Stadt hatte vier Regionen um das Achsenkreuz herum. Von daher ist heute noch der Begriff Stadtviertel üblich. Bei der inzwischen stattgefundenen Entwicklung reicht das nicht mehr aus. Man muss also die Stadt gründlich anschauen und versuchen, neue Stadtregionen festzulegen. Diese sollen einen identifizierbaren Charakter und einen Stadtteilmittelpunkt haben. Sie sollen möglichst durch Grünbereiche, Verkehrstrassen, Schrebergartenzonen oder Randnutzungen voneinander getrennt werden. Städte, in denen Rückbauüberlegungen anstehen, hätten hier die Chance, solche Gliederungs- und Trennflächen zu schaffen. Die Stadtregionen müssten dann wieder in Nachbarschaften gegliedert werden.
Auch die Nachbarschaften benötigen einen identifizierbaren räumlichen Lebensbereich, der von anderen abgetrennt ist und einen unverwechselbaren Charakter besitzt. Auch hier ist ein emotional eindeutiger Mittelpunkt wichtig. So entstünde eine Stadt der Stadtregionen, der Stadtteilzentren und Nachbarschaften.
Wie diese Stadtteilquariere beschaffen sein sollen, kann ich in ein paar Stichworten andeuten:
Wie diese Ziele erreicht werden, kann im Rahmen der Stadttheorie und Stadttherapie bearbeitet werden. Hier stoßen wir also wieder auf das oben erörterte Problem, dass die heutige rationale Stadtplanung unfähig zur Stadttherapie ist, während eine auf die Gesudung aller Lebensbereiche ausgerichtete Stadtplanung zu mehr als 50 % von seelisch geistigen Momenten gespeist wird.
Bewusstsein kann man nur ändern, wenn man Vorzeigemodelle schafft, welche der Bevölkerung in der Breite Orte des guten Lebens vorführen. Wenn die Menschen sehen, wie Orte des guten Lebens funktionieren und und wie sich das Leben in ihnen anfühlt, wird eine weit über den Ort hinaus hohe Attraktivität entstehen. Nur so läuft Stadttherapie. Stadtverantwortliche, welche die Chancen und die Attraktivität der neuen Zielsetzung bereits erkannt haben, können in ihrem Kompetenzbereich neue Stadtbedingungen schaffen. Städte, bei denen ohnehin Stadtumbau ansteht, können die Weichen leichter in Richtung Vorzeigemodell selbstverantwortlicher Nachbarschaften stellen. Die Änderung der Vorbedingung für eine sozial vernetzte Nachbarschaft beginnt also mit dem Willen der Stadtverantwortlichen, eine Vorzeigemodellstadt zu entwickeln.
Das weitere Vorgehen läuft dann nach der ganz normalen Stadtplanungsstruktur mit Bestandsaufnahme, Zielsetzungsarbeit, Planungsvorschlägen, Ausführungsstrategien etc. Allerdings wird für eine Selbstverantwortungsnachbarschaft das Prinzip der Bürgerbeteligung ein ganz zentrales Moment darstellen. Das sind alles übliche Strukturen der Stadtplanung. Die Inhalte allerdings müssten ganz neu auf die neue Zielsetzung ausgerichtet werden.
Um diese Inhalte neu entwickeln zu können, müssen wir etwas hinter die Dinge sehen. Wir müssen uns auf die Seele und den Geist einlassen. Denn schließlich ist die Stadt nichts anderes als steingewordenes Bewusstsein, also konkretisierte Seele und Geist. Die Kommunikation in der Stadt, die Ausstrahlung, die Ästhetik der Lebensraumgestalt, die Naturnähe, die Anregung zur Kreativität, die Nachbarschaftlichkeit, das generationenübergreifende Wohnen, die Mischung von Wohnen und Arbeiten, die Atmosphäre und Stimmung in einer Stadt sind der Ausdruck des Bewusstseins. Das gilt für das Individuum genauso wie für die Gesellschaft. Auch in der Gesellschaft gibt es das Unbewusste.
Beratzhausen 21.05.07